Geld und Zeit


Es könnte doch sein, das sich zwischen Menschen –

und zwischen Menschen und Dingen –

eine Art von Bewusstsein bildet, von dem wir jetzt

noch keine Vorstellung haben.

Ernst Wilhelm Händler

Freiheit durch Geldvernichtung
 
 

Das Kapital sind die Menschen

Obwohl man noch immer davon spricht, dass Zeit Geld sei, leben wir inzwischen in einer Zeit, die auch diese irrige Gleichsetzung außer Kraft setzt, was sich schon daran zeigt, dass viele glauben nur von einem von beidem mehr als genug zu haben.

Obwohl in ungeheurer Menge – die durch spekulative Buchungsvorgänge in elektronischen Rechensystemen täglich vermehr wird – vorhanden, leiden viele daran, zu wenig zu haben. Zu wenig Geld oder zu wenig Zeit für eine ökologisch verantwortliche Lebensform, eine gute therapeutische Versorgung ihrer Leiden oder eine aktive Teilhabe an der Kunst. Zu wenig Geld oder zu wenig Zeit den Alltag mit Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit auszufüllen.
 

An Theorien mangelt es nicht.

Die Fülle der Gedanken zu Struktur und Wandlung unserer Handhabung von Geld, Kapital, und den ökonomischen Kreisläufen und Prinzipien stellt Modelle und Erklärungen bereit, die unter anderem die fatalen Auswirkungen des Zinssystems oder der geldwerten numerischen Vereinnahmung von Gemeingütern oder die durch diese Handhabung forcierte Umverteilung von Ressourcen beschreiben. Kluge Bücher entwickeln Gedanken in denen der Kapitalismus »ästhetisch«1, »gut« 2 oder gar »göttlich« 3 genannt wird.
 

Aber worum geht es in der sozialen Praxis?

Es geht darum, einen praktischen Handlungszusammenhang zu verwirklichen, der die Zirkulationen von Geld nicht dem ökonomischen Maßstab unterwirft, sonder diese als freien Austausch von Gaben vollzieht.

Es geht darum, Wege zu finden, wie wir unsere Fähigkeiten in unserem alltäglichen Umfeld so einbringen können, dass sich in jeder noch so alltäglichen Handlung ein Bewusstsein vom ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen entwickelt, ohne dabei an den vorgefundenen Strukturen zu verzweifeln.

 Es geht darum, unsere Fähigkeiten in unserem Alltag so einzubringen, dass wir uns gegenseitig behilflich sind, das Leben lebenswert zu gestalten.

Letztlich gelingt dies nur, wenn es uns gelingt, Geld und Zeit als zwei Beschreibungen unserer Fähigkeit anzusehen, durch die wir uns gegenseitig behilflich sein können, das Leben lebenswert zu gestalten. Für unsere Tätigkeit in der sozialen Praxis bedeutet dies, dass der Austausch im Gespräch wichtiger ist, als die Zirkulation von Geld.

So unwahrscheinlich es klingt, ist schon dieser Gedanke der Beginn einer Umgestaltung der sozialen Plastik.

Die Konkreten Formen des Austausches werden sich dabei fortwährend weiterentwickeln. Unter Agora – dem Namen für den zentralen Fest-, Veranstaltungs- und Marktplatz der griechischen Polis –,  finden sich einige aktuelle Vorschläge wie Gutscheine, Projektstipendien oder das Einbringen praktischer Fähigkeiten.

In Kunstwerken wie Circulationen, Doppelbehinderung, Void – Capital, oder den Äuquivalenzen zeigt sich dieser Möglichkeitsraum bereits wirklich.

Und nicht nur bei Robert Musil lesen wir von der selbst den Vögeln unter dem Himmel bekannten, langen Geschichte von Geld und Zeit:
   

»Eine andere, nicht geringere Schwierigkeit für reiche Leute ist die, dass alle Leute Geld von ihnen wollen. Geld spielt keine Rolle; das ist richtig, und einige tausend oder zehntausend Mark sind etwas, dessen Dasein oder Fehlen ein reicher Mann nicht empfindet. Reiche Leute versichern denn auch mit Vorliebe bei jeder Gelegenheit, dass Geld am Werte eines Menschen nichts ändere; sie wollen damit sagen, dass sie auch ohne Geld soviel wert wären wie jetzt, und sind immer gekränkt, wenn ein anderer sie missversteht. Leider widerfährt ihnen das gerade im Verkehr mit geistvollen Menschen nicht selten. Solche besitzen merkwürdig oft kein Geld, sondern nur Pläne und Begabung, aber sie fühlen sich dadurch in ihrem Wert nicht gemindert, und nichts scheint ihnen näher zu liegen, als einen reichen Freund, für den das Geld keine Rolle spielt, zu bitten, dass er sie aus seinem Überfluss zu irgendeinem guten Zweck unterstütze. Sie begreifen nicht, dass der reiche Mann sie mit seinen Ideen unterstützen möchte, mit seinem Können und seiner persönlichen Anziehungskraft. Man bringt ihn auf diese Weise außerdem in einen Gegensatz zu der Natur des Geldes, denn diese will die Vermehrung genau so, wie die Natur des Tieres die Fortpflanzung anstrebt.«4

 
 
 


 
 
1 Gernot Böhme: Ästhetischer Kapitalismus, Frankfurt, 2016.

2 Sebastian Dullien, Hansjörg Herr, Christian Kellermann: Der gute Kapitalismus: … und was sich dafür nach der Krise ändern müsste. Bielefeld, 2009.

3 Der göttliche Kapitalismus: Ein Gespräch über Geld, Konsum, Kunst und Zerstörung mit Boris Groys, Jochen Hörisch, Thomas Macho, Peter Sloterdijk und Peter Weibel, Karlsruhe, 2007.

4 Robert Musill, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbeck, 1999, S.420.